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„Ich empfinde Trauer und Freude, wenn ich an Luzia denke“, sagt Sarah

Kann man Trauer und Freude nach dem Verlust des eigenen Babys empfinden? Dass der Tod eines Kindes Trauer auslöst, ist jedem Menschen klar, das Spüren von Glück hingegen nicht. Dabei ist es normal, beides zu empfinden. Nicht gleichzeitig, aber jedes zu seiner Zeit. So bekommt jedes Gefühl seine eigene Aufmerksamkeit.

Das ist nicht nur meine eigene Erfahrung, sondern auch die meiner Trauermädels und die von Sarah, die mir ihre Geschichte erzählt hat. Lies selbst.

Stefanie: Liebe Sarah, ich freue mich, dass du mir heute deine Geschichte erzählen möchtest. Stell‘ dich doch bitte kurz vor.

Sarah: Ich bin 35 Jahre alt, komme ursprünglich aus Stuttgart und wohne seit 2021 in Göttingen.

Ich habe zwei lebende Kinder – ein Sohn (3 Jahre) und eine Tochter (6 Monate) – und 4 Sternenkinder. Drei frühe Fehlgeburten und eine späte Fehlgeburt. Meine Tochter Luzia starb in der 17. Schwangerschaftswoche (SSW).

Stefanie: Mein tiefes Mitgefühl für deine Verluste und herzlichen Glückwunsch zu zwei kleinen Wundern. Gibt es denn eine Ursache für deine häufigen Verluste? D.h., habt ihr das untersuchen lassen?

Sarah: In meiner Heimat wurde das nicht untersucht, doch mit dem Umzug wechselte ich auch die Frauenärztin. Ich erzählte ihr von meinen bisherigen Fehlgeburten und der unerkannten bakteriellen Infektion, die bei Luzia als Ursache für ihren Tod genannt wurde. Da ich jedoch keinerlei Symptome in der Schwangerschaft mit Luzia hatte, wollte die neue Frauenärztin das nicht so stehen lassen und veranlasste einen Abstrich und verschiedene Tests.

Stefanie: Und hat sie etwas herausgefunden?

Sarah: Ja, sie stellte einen massiven Protein Z Mangel fest. Der durchschnittliche Wert liegt wohl bei 1500, meiner lag bei 300. Dieser Mangel wirkt sich auf die Plazenta aus und ist mit ziemlicher Sicherheit der Grund für die Fehlgeburten. Selbst bei meinen Sohn, der es glücklicherweise geschafft hat, hatte ich eine Plazentainsuffizienz.

Er kam in der 39. SSW per Hausgeburt zur Welt, war aber nur 46cm groß und gerade einmal 2500 Gramm schwer. Die beiden Hebammen, die mich betreuten, waren sehr erfahren. Eine von ihnen begleitete sogar viele Jahre lang Geburten in Afrika. Als sie meine Plazenta sah, sagte sie:

„Uh, die Plazenta ist aber stark verkalkt. Ich erkenne sogar einige Infarkte.“

Stefanie: Wow, da bekomme ich direkt Gänsehaut. Wie verlief denn im Vergleich dazu die Geburt von Luzia?

Sarah: Komplett anders. Da ich Blutungen hatte, musste ich ins Krankenhaus. Leider fühlte sich keines in der Umgebung verantwortlich für uns. Die Sanitäter brachten uns dann ins nächstgelegene Krankenhaus und sprachen direkt mit den Ärzten, sodass sie uns nicht mehr wegschicken konnten.

Dort wurden wir direkt in den OP gebracht. Die beiden Sanitäter blieben bei mir. Sie waren sehr empathisch, sensibel und hatten Angst um mich. Nachdem wir eine Stunde lang im OP warteten, in der sich nur eine Hebamme blicken ließ, kam endlich das OP-Team. Es folgte keine Aufklärung, sondern direkt eine Vollnarkose.

Stefanie: Das muss beängstigend gewesen sein. Hast du Luzia nach der Geburt wenigstens noch sehen können?

Sarah: Ja, ich habe sie gesehen. Darauf hätte ich auch bestanden. Da ich allerdings schon einige Sternenkinder gesehen habe, wollte ich vorher wissen, worauf ich mich einstellten muss. Die Seelsorgerin sagte mir, dass Luzia ein perfektes, kleines Mädchen ist.

Manchmal liegen Trauer und Freude verdammt nah beieinander.

Stefanie: Da hat sich das Personal erfreulicherweise viel Zeit für euch genommen, oder!?

Sarah: Ja, das stimmt. Aus damaliger Sicht war die Betreuung im Krankenhaus tatsächlich okay. Aus heutiger Sicht hätte man allerdings vieles besser machen können.

Stefanie: Das höre ich leider öfter. Was genau stößt dir denn im Nachhinein bitter auf?

Sarah: Als erstes wurde ich auf die gynäkologische Station verlegt. Dort lag ich mit einer Frau im Zimmer, die Probleme mit ihrer Brust hatte. Es war also keinerlei Austausch möglich. Es fühlte sich außerdem so an, als würden sie nur mich ernst nehmen – als ob Luzia nicht zählte.

Irgendwann wurde meine Tochter in ein freies Zimmer gebracht. Ich ging in den Raum hinein und sah sie auf einem Tisch, gebettet in einem Körbchen, stehen. Unter ihr lag ein grünes Handtuch und über ihr grüne Krankenhaus-Servietten. Das sah nicht schön aus.

Die Schwester sagte relativ gefühllos: „Machen Sie sie gern frei, wenn Sie bereit sind“.

Dann kam zum Glück die Klinik-Psychologin. Sie war eine sympathische Frau. Einfühlsam, dennoch kann ich mich an die Gespräche kaum erinnern. Als die Ärztin noch dazukam, schauten wir sie gemeinsam an und entschieden, dass Luzia ein Mädchen ist.

Einige Wochen später erhielt ich den Obduktionsbericht per Post, indem nach der OP „männlicher, toter Fötus“ notiert wurde. Daran merkt man, dass das OP-Team nicht genug Wert darauf legte, sich meinem Kind zu widmen.

Stefanie: Oh nein, das tut mir so leid! Ich bin mir sicher, dass es keine böse Absicht vom OP-Team war, dennoch dürfen solche Verwechslungen – gerade bei Sterneneltern – nicht vorkommen. Sie können zu großen Problemen in der Trauerarbeit führen. Hat sich deine Trauer um Luzia dadurch verändert? Und hast du Unterschiede beim Trauern um deine anderen Sternenkinder bemerkt?

Sarah: Nein, dieser Bericht hat meine Trauer nicht verändert und dennoch gab es große Unterschiede bei der Trauerbewältigung. Ich trauerte tatsächlich immer anders:

  • Meine erste Fehlgeburt erlitt ich am 20.3.2019. Ich verlor das Kind während der Arbeit. Es war ein absolutes Wunschkind. Ich war so glücklich, problemlos schwanger geworden zu sein, und sah mich schon mit Baby im Arm.

Mit dieser Fehlgeburt verlor das Thema Kinderwunsch seine Romantik. Die rosarote Brille wurde uns von der Realität aus dem Gesicht geschlagen. Das erste Mal trauern, das erste Mal durch die Hölle gehen, das war echt hart.

  • In der zweiten Schwangerschaft bekam ich am 20.03.2020 meinen Sohn. Trotz des triggernden Datums ein großes Glück!!!
  • Im Juni 2021 folgte Luzia.

Ich hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl.

Irgendwie ahnte ich, dass sie nicht bei uns bleiben darf. Und trotzdem freuten wir uns alle sehr und hofften auf das Beste. Umso trauriger waren wir, als Luzia verstarb.

„Die Trauer tat – ganz klar – weh, dennoch war es einfach, um Luzia trauern. Ich hatte sie gesehen, ihren kleinen Körper, der dem ihres Bruders ähnelte, und vor allem: Sie hatte ein Gesicht. Ich wusste, um wen ich trauere.“

  • Nur 6 Monate später, im Dezember 2021, erlebte ich die nächste frühe Fehlgeburt. Diese Erfahrung war niederschmetternd, weil es so rasch passierte.

    Da ich keinerlei Unterleibschmerzen oder andere Symptome hatte, entschied ich mich kurz vor Weihnachten für eine Ausschabung. Es war mir einfach zu ungewiss, wann es losgehen und wie langwierig es werden würde, und schließlich wollte ich an Weihnachten für meine Familie da sein. Hinterher erlitt ich Panikattacken und fragte mich andauernd:

    • Warum schon wieder?
    • Warum immer ich?
    • Das muss doch eine Ursache haben. Warum forscht da niemand nach?
  • Und als ob das nicht reichte, folgte nur 3 Monate später, also im März 2022, die 4. Fehlgeburt. Dieses Mal akzeptierte ich den Verlust und die Trauer besser, mir ging es aber körperlich sehr schlecht.
  • Danach wurde ich zum Glück erneut schnell schwanger und bekam Anfang 2023 meine Tochter.

Stefanie: Das waren 6 Schwangerschaften in 4 Jahren. Das muss körperlich sehr anstrengend gewesen sein, auch wenn 4 Schwangerschaften frühzeitig endeten.

Hast du bei allen Fehlgeburten so eine Vorahnung wie bei Luzia gehabt?

Sarah: Nein, nicht bei allen. Aber bei 3en. Bei allen 3 wäre der errechnete Entbindungstermin der 21.11. gewesen. Bei allen 3 wusste ich, das wird nicht passieren. Das war einfach Intuition. Bei meinem Sohn wusste ich hingegen mit dem positiven Test, dass alles gut wird.

Stefanie: Das ist wirklich beeindruckend. Du bist also einer dieser Menschen mit besonders sensiblen Antennen. Mir fehlen die vollkommen. Ich war sogar soweit, meinen Kinderwunsch an den Nagel zu hängen und zu adoptieren. Doch du hast nicht aufgegeben und dann noch eine kleine Tochter bekommen. Das muss überwältigend gewesen sein.

Sarah: Ja, das war wunderschön und wir sind sehr dankbar, auch wenn wir eigentlich immer 3 Kinder wollten. Wir haben ein großes Haus, das wir füllen wollten. Ich sah mich schon, große Feste veranstalten und bunte Geburtstagsfeiern organisieren.

Jetzt haben wir 3 Kinder, die zwei lebenden und Luzia, sowie 3 Sternchen. Ich würde keine weitere Schwangerschaft mehr schaffen. Und bezüglich der Feiern: Wir feiern Geburtstag für 3 Kinder.

Stefanie: Das ist schön. Wir handhaben das genauso. 3x Kindergeburtstag im Jahr, wovon einer eben ruhig abläuft. An diesem Tag singen wir HAPPY BIRTHDAY am Grab

Geht ihr am Geburtstag auch zum Grab?

Sarah: Ja, wir sind mit meiner Familie in den letzten Jahren immer an ihrem Geburtstag ans Familiengrab nach Stuttgart gefahren. Luzia hatte keinen Anspruch auf ein eigenes Grab. Und auf die nächste Sammelbestattung wollte ich nicht warten, weil Luzia bis dahin in der Kühltruhe hätte liegen müssen. Das konnte ich nicht. So ist sie wenigstens nie allein.

Und wenn ich hier in Göttingen bin und mich ihr nahe fühlen möchte, gehe ich zum Sammelgrab. Dort sind ihre 2 Sternen-Geschwister begraben. Sie sind meine Verbindung zu ihr. Ich fühle, dass die drei zusammen sind. An diesem Ort trauere ich gemeinsam um sie.

Stefanie: Das ist eine schöne Vorstellung, vor allem weil auch die kleinsten Sternchen dort ihren Platz bekommen haben und dadurch sichtbar werden. Wie funktioniert denn so eine Sammelbestattung? Und wer macht das?

Sarah: Nach meinen Fehlgeburten in Göttingen wand ich mich an den örtlichen Regenbogen-Verein. Sie haben mir in meiner Trauer sehr geholfen.

Sie sind es auch, die die Sammelbestattungen liebevoll organisieren und gemeinsam mit einem Pathologen begleiten. Dabei werden alle Sternchen in einzelnen Päckchen in einen Sarg gelegt, und dieser Sarg wird dann begraben. Das findet 3 Mal im Jahr statt.

Stefanie: Ach je, alle zusammen in einem Sarg. Das finde ich irgendwie tröstlich, denn sie waren ja so klein. Aber zurück zur Trauer. Du hast schon erzählt, dass du jedes Mal anders getrauert hast.

Gibt es einen oder mehrere Sätze, die dich besonders beim Trauern verärgert haben?

Aussagen, mit denen du hier und jetzt aufräumen möchtest?

Sarah: Oh ja, die gibt es.

Nummer 1: „Warum trauerst du? Du sollst doch glücklich sein.“

Dass beides nicht parallel ablaufen kann, ist klar. Aber ich kann definitiv mal trauern und mal glücklich sein. Und beide Gefühle darf man genau so annehmen. Die Trauer darf auch ein Leben lang andauern, denn mein Kind wird nicht weniger mein Kind sein, nur weil mehr Zeit vergeht.

Nummer 2: Dein Baby war noch so klein.

Ich bin nur 1,64 Meter groß, mein Mann jedoch 1,80 Meter. Soll man später um ihn mehr trauern, als um mich?

Stefanie: Das ist ein großartiges Argument. Und so schlagfertig. Das muss ich mir merken.

Welchen Satz hättest du dir stattdessen gewünscht?

Sarah: Das ist schwierig zu sagen, da jeder Mensch anders trauert. Deswegen beginne ich – dank meiner eigenen Erfahrung – meist so die Gespräche mit Betroffenen: „Ich weiß nicht, wie du dich gerade fühlst. Aber kann ich irgendetwas tun, damit es dir besser geht?

Ich bin der Meinung, dass Betroffene anfangs oft selbst nicht wissen, was gut für sie ist. Da tut vielleicht jeder Satz weh. Mit einer konkreten Frage denken sie eventuell drüber nach.

Stefanie: Das ist auf jeden Fall ein würdevoller und hilfreicher Ansatz. Gibt es noch etwas, das du zum Schluss teilen möchtest?

Sarah: Oh ja, sehr gern:

Trauer und Freude heben sich nicht auf.

Den Spruch „Glück und Trauer liegen oft nah beieinander“ hat sicherlich jeder schon gehört. Und es stimmt. Sie können zwar nicht gleichzeitig stattfinden, doch sie heben sich nicht auf:

„Ich trauere beispielsweise um meinen Wunsch, ein Haus voller Kinder zu bekommen. Aber ich bin wahnsinnig glücklich, 2 lebende Kinder zu haben. Ich könnte platzen vor Freude, auch wenn ein Platz am Tisch immer frei bleiben wird.“

Stefanie: Das ist ein wunderbares Schlusswort. Sehr weise und gut nachempfindbar.

Liebe Sarah, ich danke dir von Herzen, dass du deine Geschichte erzählt hast und uns an deiner Trauer-Erfahrung hast teilhaben lassen. Ich bin mir sicher, das wird vielen Sterneneltern helfen.

Ich freue mich schon auf Oktober und die Möglichkeit, dich dann in Nauen persönlich kennenzulernen.

Hinweis: Sarah ist genau wie ich, Teil des Sternenbands. Sie möchte bei der Aufklärung dieses Tabuthemas helfen. Ein Thema, das Sensibilität erfordert, aber nicht verschwiegen werden darf.

Ich finde es großartig, dass Sarah die Stärke dafür gefunden hat und helfen möchte. VIELEN DANK!!!

Wenn du Sarah ein paar liebe Worte dalassen möchtest, kannst du das entweder unten in die Kommentare schreiben oder dich auf Instagram bei @lazygarlic melden.

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