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“Ben litt am Herzfehler TGA”, berichtet seine Mama

Das Interview mit Peggy war eines der emotionalsten, die ich bisher geführt habe. Ihr Sohn Ben litt am Herzfehler TGA (Transposition der großen Arterien). Das ist Grund genug, dass Tränen flossen. Doch trotz der unterschiedlichen Gründe für den Tod unserer Kinder gab es einige Gemeinsamkeiten, die uns beiden nah gingen.

Angefangen beim Fakt, dass unsere Söhne nicht unsere ersten Sternenkinder waren, über den plötzlichen und unerwarteten Tod unserer Jungs bis hin zu ihrem Geburtstag. Ben wurde, genau wie Dominik, am 22.09.2016 geboren.

Warum Ben wegen des TGA Herzfehlers gestorben ist, berichtet Peggy im Interview.

Was der Herzfehler TGA ist und ob er vererbbar oder gar heilbar ist, erfährst du in der Infobox.

Stefanie: Liebe Peggy, stell’ dich doch bitte kurz vor.

Peggy: Ich bin 32 Jahre alt und komme aus Freiberg. Ich habe 2 Kinder an der Hand, 1 Bauchkind und 5 Kinder im Herzen. 3 meiner Sternenkinder verlor ich im 1. Trimester, meinen Marc im 2. Trimester und Ben starb 9 Tage nach seiner Geburt bei uns zu Hause.

Stefanie: Bei euch zu Hause? D.h., ihr hattet das Krankenhaus bereits verlassen und die Ärzte hatten keine Auffälligkeiten erkannt?

Peggy: Ganz genau. Es gab nie Auffälligkeiten. Nicht während der Schwangerschaft, nicht bei der Untersuchung direkt nach der Geburt und auch nicht, bevor sie uns entlassen haben.

Niemand bemerkte den Herzfehler bei Ben

Stefanie: Oh nein, das hört sich furchtbar an. Aber lass uns von vorne beginnen. Wann und wie ist Ben zur Welt gekommen?

Peggy: Geplant war eigentlich eine Geburt im Geburtshaus. Doch als ich 3 Tage über ET (errechneter Termin) war, meinte mein Frauenarzt, wir sollten lieber mal ins Krankenhaus fahren. Ben lag seiner Meinung nach zu sehr links und war wohl sehr groß.

Ich fuhr also ins Krankenhaus. Eigentlich nur, um mir einen Untersuchungstermin geben zu lassen, damit mein Mann dabei sein kann. Doch da die Schwester Zeit hatte, wollte sie direkt eine Voruntersuchung machen.

Erst war das CTG (Kardiotokografie oder einfach Wehenschreiber) okay. Dann fielen die Herztöne kurzzeitig ab. Wahrscheinlich hatte Ben einfach nur die Nabelschnur in der Hand und drückte sie ab. Dennoch standen plötzlich mehrere Ärzte und Schwestern um mich herum.

Ich wurde stationär aufgenommen und ans Langzeit-CTG angeschlossen. Nachts um 3 Uhr bin ich wach geworden, weil meine Blase drückte. Noch bevor ich aufgestanden bin, platzte meine Fruchtblase. Das Wasser lief und lief. Trotz des Blasensprungs setzten aber lange keine Wehen ein.

Früh am Morgen gab es erneut eine Untersuchung. Im Ultraschall sah alles gut aus. Gegen 8:00 Uhr ging es dann mit leichten Wehen in den Kreißsaal. Von Stunde zu Stunde wurden die Wehen intensiver, dennoch konnte ich sie gut veratmen.

Gegen 10 Uhr kam dann der Wehentropf zum Einsatz, da meine Wehen wohl zu kurz und somit nicht kraftvoll genug waren. Trotz des Wehensturms, der mit einem Mal über mich hereinbrach, beschlossen die Ärzte und Schwestern, dass endlich etwas passieren muss.

Sie nahmen gegen 12:30 Uhr einen Dammschnitt vor und drückten auf meinem Bauch herum. Das war alles sehr beängstigend, aber ich hatte keine Ahnung. Es war ja mein erstes Mal.

Um 13:35 Uhr wurde Ben dann geboren.

Peggy: Ja, genau. Wir genossen die Tage mit Ben. Er entwickelte sich prächtig, nahm immer gut zu und auch die Hebamme war jedes Mal zufrieden.

Stefanie: Da muss dir ein Stein vom Herzen gefallen sein, oder!? Noch dazu weil alles okay mit ihm war.

Peggy: Ja, und wie. Es sah alles super aus. Selbst der Apgar (erster Gesundheitscheck für ein neugeborenes Baby nach einem Punktesystem) war bei 10/10. Wir blieben noch 24 Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus, und am nächsten Tag saßen wir bereits mit der Familie zu Hause beim Kaffee trinken. Alle wollten Ben kennenlernen und mit ihm kuscheln.

Stefanie: Das bedeutet, dass ihr bis zu seinem Todestag ganz normal mit eurem neugeborenen Baby gelebt habt und plötzlich ist er gestorben?

Stefanie: Und wann und wie ist Ben dann gestorben?

Peggy: Es war der 9. Tag. Wir standen morgens auf und alles lief schon routiniert ab. Als mein Mann ins Nachbardorf fuhr, wickelte ich Ben grade. Danach hätte Ben eigentlich Hunger haben müssen. Es war genau seine Zeit. Doch er war unruhig und wollte nicht an die Brust.

Ich rief meinen Mann an und sagte, er soll nach Hause kommen. Irgendetwas stimmte nicht. Als er heimkam, hatte sich Ben allerdings beruhigt. Er trank ruhig an meiner Brust, sodass ich meinen Mann wieder wegschickte.

Nach dem Stillen legte ich Ben über meine Schulter, damit er sein Bäuerchen machen konnte. Als ich ihn dann wieder herunter nahm, sah ich, dass sein Gesicht blau angelaufen war. In meiner Panik rief ich sofort wieder meinen Mann an.

„Du musst den Rettungswagen rufen“, sagte er

Mein Mann war blitzschnell zurück. Er beatmete Ben und führte eine Herzdruckmassage durch. Dann kam auch schon der Rettungswagen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an und gleichzeitig lief alles wie ein Film vor meinen Augen ab.

Mein Mann nahm Ben in den Arm und rannte sofort zum Rettungswagen. Die Sanitäter übernahmen meinen Sohn und fuhren mit ihm in die Freiberger Klinik. Der Onkel meines Mannes fuhr meinen Mann und mich hinterher.

In der Klinik nahm ihn dann die Ärztin entgegen, die die Abschlussuntersuchung vor ein paar Tagen vorgenommen hatte. Sie vermutete sofort einen Herzfehler. Die Röntgenaufnahme bestätigte später ihren Verdacht. Bens Herz war zu groß für sein Alter. Richtig greifbar wurde es schließlich mit dem Ergebnis der Obduktion. Dort wurde festgestellt, dass Ben an einem Herzfehler namens TGA litt.

Infobox

Was ist eine TGA?

Die TGA (Transposition der großen Arterien) gehört mit etwa 2-3% zu den häufigen angeborenen Herzfehlern und zählt zu den zyanotischen Herzfehlern, bei dem die großen Gefäße (Hauptschlagader = Aorta und Lungenschlagader = Pulmonalarterie) vertauscht sind. Der Blutkreislauf wird dadurch falsch geschaltet.

Ist der Herzfehler TGA vererbbar?

Nein, es ist eine Laune der Natur.

Ist der Herzfehler TGA heilbar?

Eine Operation kann helfen. Und dank des medizinischen Fortschritts überleben – laut Herzstiftung – bis zu 90% der betroffenen Kinder und können aufgrund von verbesserter medizinischer Versorgung sogar das Erwachsenenalter erreichen. 

Mehr Infos zum Herzfehler TGA findet du hier.

Stefanie: Oh nein, wie furchtbar – vor allem, dass ihr von alledem nichts wusstet! Das tut mir so leid! Aber nochmal zurück zur Klinik. Wie ging es dort weiter, nachdem die Ärztin Ben untersucht hatte?

Peggy: Es kamen extra Ärzte aus Dresden, die sich beraten haben. Sie entschieden, dass Ben für eine spezielle Behandlung nach Leipzig verlegt werden sollte.

Die Ärzte hielten uns die ganze Zeit auf dem Laufenden. So erfuhren wir von Bens vermeintlichen Herzfehler, der bis zu diesem Zeitpunkt völlig unerkannt blieb.

Niemand hatte etwas bemerkt. Nicht während der Schwangerschaft, da keine Feindiagnostik vorgenommen wurde, und auch nicht beim Sauerstoff-Screening einen Tag nach der Geburt. Hier erreichte Ben sogar 100%. Sein kleiner Körper kompensierte das alles sehr lange sehr gut.

Stefanie: Das heißt, in der Feindiagnostik hätte man den Herzfehler, die TGA, feststellen können?

Peggy: Genau. Im normalen Ultraschall kann die TGA nicht erkannt werden. Nur in der Feindiagnostik, da die Blutströme auf dem Monitor rot und blau gefärbt sind. Da wäre es aufgefallen, doch es gab keinen Grund für eine Feindiagnostik bei Ben.

Stefanie: Und wann ist Ben dann nach Leipzig überführt worden?

Peggy: Gar nicht. Er starb um 15:06 Uhr.

Ben hat es leider nicht geschafft

Wir waren am Boden zerstört. Die Ärztin auch. Wir weinten gemeinsam. Sie hat sogar psychologische Betreuung vor Ort erhalten.

Stefanie: Ihr nicht?

Peggy: Nein, leider nicht. Immerhin wurde uns ein Raum zur Verfügung gestellt, den wir zum Abschied nehmen nutzen durften. Der Raum war mit Blumen und einer Kerze dekoriert. Ich konnte Ben in Ruhe im Arm wiegen und mit ihm kuscheln. Ich schaute ihn an und saugte alles auf, denn Erinnerungen verblassen schnell.

Stefanie: Haben sich noch mehr Menschen von Ben verabschiedet?

Peggy: Ja, alle Familienmitglieder, die ihn in den Tagen zuvor bereits kennengelernt haben, kamen ins Krankenhaus. Das half allen, seinen Tod zu begreifen. Auch die Krankenhaus-Seelsorgerin kam, um Ben zu segnen. Unseren eigenen Pfarrer erreichten wir leider nicht.

Stefanie: Das ist schön, dass alle kamen, auch wenn es ein trauriger Anlass war. Wie habt ihr dann den Moment gefunden, ihn im Krankenhaus zurückzulassen? Ich weiß, das klingt hart, aber er musste ja irgendwann gekühlt werden.

Peggy: Nach circa 2 Stunden kam die Ärztin noch einmal.

Sie führte die Abschlussuntersuchung durch. Dafür habe ich Ben noch einmal an- und ausgezogen und habe dabei erste Leichenflecken an seinem kleinen Körper entdeckt. Auch sein Gesicht war bereits etwas bläulich. Das war dann der Moment, der mich zum Gehen brachte. Das war tatsächlich schwer, aber, wie du sagst, notwendig.

Stefanie: Hat man euch beim Verlassen des Raumes oder überhaupt aus dem Krankenhaus irgendetwas mit an die Hand gegeben? Eine Mappe mit Infos vielleicht.

Peggy: Nein, leider nicht. Keine Infos, keine psychologische Betreuung, nicht mal einen Hinweis auf die Sternenkinder-Fotografen. Wir wurden lediglich darauf hingewiesen, dass beim ungeklärten Kindstod, wie das bei uns der Fall war, die Kriminalpolizei (kurz Kripo) eingeschaltet werden muss.

Stefanie: Puh, das ist so surreal, auch wenn ich das schon von einigen Sterneneltern erfahren habe. Wie ging es dir damit?

Peggy: Oh, mir ging es gar nicht gut damit. In der Nacht davor hatte ich einen schlimmen Albtraum. Ich träumte, dass die Kripo mit einem großen Auto vor unseren Haus parkte, mehrere Menschen völlig vermummt aussteigen, alle schwer bewaffnet, um mich von zu Hause abzuholen und mitzunehmen.

So kam es natürlich nicht, dennoch begleitete uns die Angst. Wir sind allein zum Termin gefahren und mussten dann in einem Interview erzählen, was passiert ist. Es hat gar nicht lange gedauert. Die Beamtin klappte recht schnell die Akte zu und meinte: “Es deckt sich alles mit den Aussagen im Krankenhaus.” Außerdem waren äußerlich nur die Einstichstellen der Kanülen zu sehen. Somit gab sie Ben zur Obduktion frei.

Stefanie: Ich weiß, ihr hattet keine Wahl. Aber war euch diese Obduktion überhaupt recht?

Peggy: Ja, na klar. Wir wollten ja selbst wissen, warum er gestorben ist.

Stefanie:

Und der Herzfehler TGA war das alleinige Ergebnis?

Peggy: Ganz genau, es wurde nur der TGA Herzfehler bestätigt. Das beruhigte mich irgendwie, dennoch folgte gleichzeitig der nächste Hammer.

Stefanie: Oh je, was denn noch?

Peggy: Beim Anruf über die abgeschlossene Obduktion wurde uns mitgeteilt, dass Ben nun vom Beerdigungsinstitut abgeholt werden kann. Darauf war ich nicht vorbereitet. Daran hatte ich vorher gar nicht gedacht. Ich erschrak und brach zusammen.

Stefanie: Oh ja, das Gefühl kenne ich. Wann habt ihr Ben dann beerdigt?

Peggy: Wir brauchten ein paar Tage, um uns aufzuraffen, und schauten uns mehrere Bestattungsinstitute an. Nachdem Ben am Samstag, den 1.10.2016 verstarb, holte ihn das Beerdigungsinstitut am Mittwoch darauf ab. Am 13.10. wurde er schließlich in einem kleinen Kindersarg beerdigt.

Stefanie: Wie ging es dir an diesem Tag?

Peggy: Ich war fertig mit der Welt. Da waren so viele Gefühle, die mich übermannten.
Die Beerdigung selbst wurde von unserer Pfarrerin begleitet, die zu diesem Zeitpunkt in Elternzeit war. Das war eigentlich schön, allerdings hat sie von Ben geredet, als wäre er 90 Jahre alt geworden und nicht nur 9 Tage.

Ich wollte stark sein, alles nicht so an mich heranlassen, um nicht innerlich zusammenzubrechen. Das hat an sich gut funktioniert, bis mein/unser Lied von Silbermond gespielt wurde “Du bist das Beste, was mir je passiert ist”.

Die Pfarrerin hatte sich extra um eine Sängerin gekümmert. Das wusste ich nicht. Sie traf mit ihrer Stimme mitten in mein Herz.

Ich war unglaublich gerührt und habe noch immer Kontakt zu ihr. Es ist eine richtige Freundschaft daraus geworden, dafür bin ich der Pfarrerin sehr dankbar.

Nichtsdestotrotz fand ich es krass, dass die Welt sich einfach für alle anderen weiterdrehte und ich meinen Sohn beerdigen musste. Und am meisten schmerzte es, dass ich in meiner Trauer nicht akzeptiert wurde und plötzlich niemand, außer meiner Familie, mehr für mich da war.

Stefanie: Wie meinst du das?

Peggy: Wir wohnen ja in einem Dorf. Hier kennt jeder jeden. Während der Schwangerschaft hat sich also jeder dafür interessiert. Waren wir spazieren, wollten die Menschen alles wissen, z.B. wann der Entbindungstermin ist, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, die typischen Fragen halt.

Als Ben dann geboren wurde und wir mit dem Kinderwagen die erste Runde durch das Dorf gelaufen sind, hat gefühlt jeder in den Kinderwagen geguckt und uns beglückwünscht.

Und 9 Tage später, als er verstorben war und die Leute es durch Mundpropaganda erfahren haben, war niemand mehr da. Haben sie uns auf der Straße gesehen, nahmen die Menschen Reißaus. Das hat mich sehr verletzt.

Sie meldeten sich lediglich, indem sie uns Beileidskarten schickten. Davon hatten wir plötzlich ganz viele im Briefkasten. Das wurmte mich sehr. Am liebsten hätte ich sie alle wieder ausgeteilt. Es hatte nicht eine*r den Mut besessen, bei uns zu klingeln und Hilfe anzubieten. Und dabei braucht es nicht viel. Man muss ja nicht mal was sagen.

Manchmal reicht schon eine einfache Umarmung, um zu zeigen, dass man da ist.

Stefanie: Da gebe ich dir vollkommen Recht. Allein zu zeigen, dass man nicht allein mit allem ist, ist so wertvoll. Das zeigt, wie viel Aufklärungsarbeit noch geleistet werden muss.

Peggy: Richtig, und das fängt schon beim Frauenarzt an. Schließlich ist er es, der die Nachricht über den Tod eines Babys am häufigsten feststellt und mitteilen muss. Die Anzahl der kleinen und stillen Geburten ist wesentlich höher als die des Neugeborenen-Kindstodes, auch wenn es uns beide getroffen hat.

Stefanie: Ist das der Grund, warum du das Projekt Sternenband unterstützt?

Peggy: So ist es. Ich stehe zu 100% hinter dem Sternenband und der lieben Nadija. Ich habe bereits viele Frauenärzte in meiner Region besucht, vom Sternenband erzählt und Flyer für Betroffene dort gelassen.

Das Sternenband - für alle verwaisten Eltern

Aber es gibt noch viel mehr, über das die Frauen und auch die Männer aufgeklärt werden müssen: Sternenkind-Fotografen, Beerdigungsinstitute in ihrer Nähe, die Möglichkeit einer Sammelbestattung bei kleinen verstorbenen Babys, Selbsthilfegruppe, uvm.

Stefanie: Apropos, Selbsthilfegruppe.

Du warst dabei eine Selbsthilfegruppe zu gründen, richtig!?

Peggy: Ja, das stimmt. Ich habe sie auch gegründet. Im Februar 2023, also vor zwei Monaten, hätte sie anfangen sollen. Doch ich bin unerwartet schwanger geworden.

Ich habe ausführlich mit dem Pfarrer der Gemeinde darüber gesprochen und wir haben entschieden, die Gruppe noch vor dem Start zu pausieren. Wer weiß, wie lange ich das psychisch geschafft hätte!?

Sobald das Baby da ist und sich ein neuer Alltag eingespielt hat, werden wir die Selbsthilfegruppe starten. Wahrscheinlich im August oder September 2024. Dann ist mein Kopf wieder freier und ich kann mich voll und ganz auf die Sterneneltern konzentrieren.

Stefanie: Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich sehr für dich und deinen Mann und kann total verstehen, dass du lieber etwas Abstand von negativen Erlebnissen nehmen möchtest. Es ist ja nur für eine bestimmte Zeit. Wie geht’s dir heute mit deiner eigenen Trauer?

Peggy: Ich komme gut klar damit, obwohl ich zugeben muss, dass es immer schwierige Zeiten gibt. Weihnachten, Ostern und vor allem sein Geburtstag. Sein letzter Geburtstag fiel mir unwahrscheinlich schwer. Schwerer als in den Vorjahren. Und ich weiß gar nicht warum. Vielleicht weil die Tage 2022 wieder genau auf dieselben Wochentage wie 2016 fielen.

Stefanie: In den schweren Momenten helfen mir oft Erinnerungsstücke, die ich in die Hand nehmen kann und mich so meinem Sohn näher fühle.

Habt ihr auch Andenken an Ben?

Peggy: Leider nicht so viele. Ich habe in deinem Buch gelesen, dass bei euch eine Schwester kurz dazukam, frischen Wind in die schwere Situation brachte und zum Fuß- und Handabdrücke machen animiert hat. Das hätte ich mir damals auch gewünscht.

Zu uns kam nämlich niemand. Wir haben keine Abdrücke. Es hätte schon eine Mappe mit Anregungen gereicht. Wir wurden leider der Möglichkeit beraubt, uns Erinnerungen zu schaffen. Denn es ist genau so, wie du es beschrieben hast: In dieser Situation kann man nicht klar denken.

Zum Glück haben wir Bilder von Ben. Handyfotos und die Bilder, die vom Krankenhaus-Fotografen am 4. Lebenstag von ihm gemacht wurden. Die Standardbilder eben.


Dafür fuhren wir extra nochmal mit ihm in die Klinik. Jetzt sind sie meine wichtigen Erinnerungsstücke an ihn. Außerdem haben wir Erinnerungen an die Zeit, in der er bei uns zu Hause war. Das ist so viel wert.

Stefanie: Das stimmt. Die Erinnerungen kann euch keiner nehmen und trotzdem hätte man so viel mehr machen können. Ich hätte zum Beispiel gern den Sarg gemeinsam mit meiner Tochter bemalt, wenn ich das gewusst hätte. Wusstest ihr, dass man einen Babysarg selbst gestalten darf?

Peggy: Nein, leider nicht. Uns wurde das auch nicht gesagt. Dabei wäre das so wichtig für den Trauerprozess gewesen. Ich hätte etwas aktiv für meinen Sohn tun können. Das tut mir im Nachhinein echt weh.

Stefanie: Schade, dass wir das zu spät erfahren haben. Wahrscheinlich kämpfen wir deswegen jetzt für mehr Aufklärung. Andere Betroffene sollen nicht dieser Möglichkeiten beraubt werden. 

Peggy: Das kann gut sein. Ich spüre einfach diesen inneren Drang, anderen helfen zu müssen. Und es stimmt, ich kläre am liebsten über das auf, was ich in meinen Augen verpasst habe.

Stefanie: Abgesehen von dem, das du gern gehabt hättest: Was hat dir in deiner Trauer am meisten geholfen?

Peggy: Reden, reden und nochmals reden. Ich habe viel mit meinem Mann geredet. Meine Hebamme war oft und immer lange da. Sie ist wie eine Mutter für mich geworden, die ich jederzeit alles fragen konnte.

Außerdem bin ich im Mai 2017, nachdem ich meinen kleinen Marc in der 16. SSW still geboren habe, einer offenen Trauergruppe in Dresden beigetreten. Das tat mir sehr gut, vor allem weil zu dem Zeitpunkt durch mein nächstes Sternenkind wieder alle Gefühle so präsent waren.

Stefanie: Oh je, so kurz nach Ben noch ein Sternenkind. Das tut mir leid für euch. Und jedes Sternenkind bringt seine eigene Geschichte mit sich.

Hast du Sterneneltern kennengelernt, deren Kind ebenfalls den Herzfehler TGA hatte?

Peggy: Das habe ich. Ja. In den Sozialen Medien gibt es so viele unterschiedliche Gruppen. Und in einer Facebook-Gruppe fand ich tatsächlich eine Mutti, deren Kind ebenfalls TGA hatte. Bei ihr wurde es bereits in der Schwangerschaft festgestellt, sodass ihr Baby kurz nach der Geburt operiert wurde. Es hatte also eine gute Chance. Dennoch starb es wenige Jahre später an einer anderen Krankheit. 

Der Herzfehler TGA ist ein komplizierter Eingriff und oft nicht ohne Nebenwirkungen, denn die beiden Adern, die falsch herum angelegt sind, sind unterschiedlich groß. Eine ist sehr klein, die andere sehr groß. Medizinisch ist es also eine Meisterleistung, diesen Herzfehler komplett zu beheben. Außerdem muss das regelmäßig kontrolliert werden, weil immer etwas passieren kann.

Stefanie: Oh man, das zeigt wieder einmal, wie mächtig die Natur ist. Sie hat immer das letzte Wort, auch wenn die Medizin schon so weit ist. 

Liebe Peggy, ich danke dir vielmals für deine Zeit und Offenheit, deine Geschichte mit Ben zu erzählen. Möchtest du zum Schluss noch mit einem Trauer-Mythos aufräumen, dem du in deiner Trauer immer wieder begegnet bist?

Peggy: Ja, da gibt es einen Mythos: “Die Trauer dauert nur 1 Jahr.” Das ist völliger Quatsch.

Natürlich ist das erste Trauerjahr das Schwerste. Doch es hört nach einem Jahr nicht auf. Weder bei Sternenkindern noch bei alten Menschen. Ihr Verlust begleitet uns unser Leben lang und so lange dürfen wir auch trauern. Wir müssen eben lernen, die Trauer in unser Leben einzubauen und damit zu leben.

Ich danke dir vielmals, liebe Stefanie, für die Möglichkeit, meine Geschichte zu erzählen und so Ben einen besonderen Platz zu geben. Das bedeutet mir sehr viel!

Stefanie: Sehr gern, liebe Peggy. Ich wünsche dir eine wunderschöne Schwangerschaft, mit so wenig Ängsten wie möglich. Auf dass alles gut wird!

Wenn auch du Peggy Glück wünschen möchtest oder ebenfalls ein Kind hast, bei dem der Herzfehler TGA diagnostiziert wurde, schreibe es gern unten in die Kommentare. Ich informiere Peggy, sofern sie es nicht selbst liest.


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