Du betrachtest gerade Interview mit einem Sternenkind-Papa: So trauerte mein Mann

Interview mit einem Sternenkind-Papa: So trauerte mein Mann

Es ist wieder September. Ein besonderer Monat für meinen Mann und mich. Unser Sohn Dominik wurde am 22.09.2016 geboren und starb 5 Tage später. Mein Mann wurde somit erst Papa, dann Sternenkind-Papa.

Aus diesem Grund möchte ich meinen Mann diesen Monat zu Wort kommen lassen und habe ihm ein paar Fragen zu seiner Trauer gestellt. Ich hoffe, dass es einerseits anderen Sternenpapas bei ihrer eigenen Trauerbewältigung hilft und andererseits Sternenmamas und Nicht-Betroffenen einen Einblick in die Trauer eines Sternenkind-Papas gibt.

Stefanie: Kannst du bitte in deinen eigenen Worten erzählen, welchen Verlust wir erlebt haben?

Tobi: Ich weiß noch genau, wie du mich – 5 Tage vor dem errechneten Geburtstermin – mitten in der Nacht geweckt hast und sagtest, dass du Blutungen hast. Ich war, anders als sonst, sofort hellwach, bin aus dem Bett gestiegen, weckte unsere damals knapp 3 Jahre alte Tochter, und dann fuhren wir ins Krankenhaus.

Dort angekommen gab es zunächst Entwarnung. Dominik ging es gut und seine Werte waren normal.

Ich erinnere mich, dass du im Laufe des Tages Wehen und immer wieder Blutungen hattest. Nachdem die Fruchtblase platzte, verschlechterte sich Dominiks Zustand unter den Wehen, da sein Herzschlag immer wieder abfiel. Innerhalb weniger Minuten wurde dann ein Kaiserschnitt vorbereitet und wir waren auf dem Weg in den OP.

Während des Kaiserschnitts haben wir beide nicht mitbekommen, was genau passierte, und haben ebenso wenig gemerkt, dass Dominik bereits auf der Welt war und aus dem OP getragen wurde.

Er lag dann einige Tage auf der Neonatologie.

Wir haben immer wieder von den Ärzten gehört, dass er zwar sehr krank ist, allerdings gab es keine Prognosen, dass er es nicht schaffen könnte.

Nach 3 Tagen wurde er auf die Kinderintensivstation verlegt, da er eine Dialyse benötigte. Dort führten wir ebenfalls Gespräche mit den Ärzten, in denen es plötzlich hieß:

„Wenn weitere Komplikationen auftreten, könnte es passieren, dass wir Dominik nicht mehr retten können.“

Am 5. Tag kam es leider zu einer dieser möglichen Komplikationen, eine Hirnblutung.

Sie kam aus dem Nichts und hatte eine schwerwiegende Folge: Dominik starb, ohne dass wir ihn je richtig wach erlebt haben.

Und das obwohl die komplette Schwangerschaft völlig problemlos verlief.

Stefanie:

Wie verlief der Moment, als du erfahren hast, dass unser Sohn sterben wird?

Tobi: Der Moment mit der Hiobsbotschaft war ein großer Schock. Jedoch wurde dieses Gefühl nochmal mit unendlicher Trauer verschärft, als wir Dominik bei seinem letzten Atemzug begleiteten.

Stefanie: Das stimmt wohl. Sein eigenes Kind in den Tod zu begleiten, prägte uns beide sehr. Und die anschließende Trauer um Dominik war eine intensive aber auch individuelle Erfahrung.

Kannst du deine eigenen Gefühle und Gedanken beschreiben, die dich in der Anfangszeit als Sternenpapa begleitet haben?

Tobi: In erster Linie fühlte ich mich hilflos. Ich wusste nicht, was ich machen und wie es mit dem eigenen Leben und dem Familienleben weitergehen soll.

Ich habe mir außerdem viele Gedanken um dich gemacht, da es dir nach dem Kaiserschnitt körperlich schlecht ging und seelisch erst recht. Ich habe Dominik nur 5 Tage erlebt, du jedoch schon während der Schwangerschaft. Du hattest eine viel intensivere Bindung zu ihm.

Die Sorgen um dich wurden zum Glück schnell kleiner, weil wir viel geredet haben. Das beruhigte mich. Ich habe schnell gemerkt, dass wir seinen Tod zusammen meistern werden und unsere kleine Familie daran nicht zerbrechen wird.

Stefanie: Da sprichst du einen wichtigen Punkt an, die Bindung zu ungeborenen Kindern. Oftmals wird gesagt, dass nur Mütter eine enge Bindung vor der Geburt aufbauen können. Wie war das für dich als Papa?

Konntest du eine Verbindung zu unserem Sohn aufbauen?

Tobi: Ich weiß nicht, ob es allen Vätern so geht, aber sowohl Dominik als auch seine Schwester waren für mich während der Schwangerschaft nicht wirklich greifbar.

Als Mutter ist das sicherlich anders: Du hast die Veränderungen am Körper gespürt und auch die Bewegungen unserer Kinder. Natürlich habe ich auch mal einen Tritt am Bauch gespürt. Dennoch fing die Bindung bei mir erst nach der Geburt an. Bei Dominik aufgrund der Ungewissheit viel intensiver.

Stefanie: Danke für deine Offenheit. Diese Wahrnehmung ist wahrscheinlich ebenso individuell wie das Annehmen von Unterstützung während der Trauerzeit.

Welchen Einfluss hatte das soziale Umfeld für dich als Sternenkind-Papa auf deinem Trauerweg?

Tobi: Tatsächlich einen großen Einfluss. Auch wenn ich viel Zeit allein mit meiner Trauer verbracht habe, war es für mich einfach, von Dominik und den Geschehnissen zu erzählen.

D.h., immer wenn Freunde oder Kollegen den Mut hatten, mich auf den Verlust unseres Sohnes anzusprechen, habe ich mir alles von der Seele geredet. Stets mit vielen Tränen. Nach einer gewissen Zeit hatte jedoch meine Gegenüber meist mehr Tränen in den Augen als ich.

Auch heute finde ich es noch immer schön, wenn jemand in meinem Umfeld Dominik erwähnt und wenn weiter von ihm gesprochen wird. Mit den Jahren wurde es zwar immer seltener, doch seit der Veröffentlichung deines Sternenkind-Buches passiert das tatsächlich wieder öfter. Dominik wird gesehen. Das ist unheimlich schön.

Stefanie: Das stimmt. Es tut gut, wenn jemand nach Dominik fragt, auch wenn es im Alltag eher die Ausnahme ist. Gab es denn ein Gespräch, das dir besonders im Gedächtnis geblieben ist oder das dir am meisten geholfen hat?

Tobi: Es gab viele gute Gespräche und ich bin froh, dass wir beide über alles so gut reden konnten und noch immer können. Aber wenn du mich so direkt fragst, muss ich zugeben, dass mir das Gespräch mit deiner Hebamme am meisten geholfen hat.

Sie hat zugehört und uns auf ihre direkte und gleichzeitig einfühlsame Art gesagt, dass das Leben, unser Leben, weitergeht, dass wir lachen und unsere Zeit mit unserer Tochter genießen dürfen, ja gar sollen und müssen. Außer ihr hat niemand so offen mit uns gesprochen. Kein Wunder, dass du diesen Teil in deiner Lesung in Guben vorgetragen hast.

Stefanie: Ja, das war in der Tat ein sehr intensives Gespräch, indem wir alle geweint und sogar gelacht haben. Dabei gibt es in der Gesellschaft manchmal das Missverständnis, dass Männer ihre Emotionen weniger zeigen sollten. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht, und wie bist du damit umgegangen?

Tobi: Ich habe, zumindest im ersten Jahr, immer Tränen in den Augen gehabt. Man kann auch sagen, ich habe immer geheult.

„Neun Monate nach dem Tod unseres Sohnes habe ich sogar mit einem guten Freund im Urlaub am Pool gesessen, Bier getrunken und wir haben beide geheult.“

Niemals habe ich in meinem Umfeld gehört, dass Männer keine Gefühle zeigen dürfen.

Stefanie: Ich denke, das ist immer eine Frage, wie man selbst mit dem Thema umgeht und was man ausstrahlt. Ähnlich unterschiedlich sieht es aus, wenn es darum geht, Trost in kreativen Ausdrucksformen wie Schreiben, Kunst oder Ritualen zu finden.

Was hat dir als verwaister Vater in der Trauerverarbeitung geholfen?

Tobi: Für mich war es die Musik. Ich habe nicht selbst musiziert, mir allerdings einige Playlists erstellt, von kirchlichen Titeln bis hin zu einem Trauersong der Toten Hosen „Nur zu Besuch“.

Diese Songs habe ich hauptsächlich gehört, als ich wieder zurück im Job war und allein meine Mittagspausen mit Waldspaziergängen verbracht habe, zum Grab gegangen bin oder mich fürs Musikhören zurückgezogen habe.

Stefanie: An deine Waldspaziergänge kann ich mich gut erinnern. Bei einigen wenigen war ich ja dabei. Das ließ jedoch mit der Zeit nach. Trauer verändert sich eben.

Wie hat sich deine Trauer im Laufe der Monate oder Jahre verändert?

Tobi: Es gibt für verschiedene Lebenssituationen bestimmte Phrasen. Im Trauerfall heißt es oft: „Das erste Trauerjahr ist am schlimmsten“. Für mich ist das genau so gewesen.

Ich konnte und wollte damals keine Babys um mich herum haben. Das erste Weihnachten ohne Dominik war auch nicht einfach. Wir hatten es uns eben anders vorgestellt. Allerdings lernt man im Laufe der Zeit damit umzugehen.

Hinzu kommt, dass wir das Glück hatten, noch ein Kind zu bekommen, obwohl wir das nach Dominiks Tod ausgeschlossen hatten. Dennoch tat es sehr gut, das Glück noch einmal im Arm halten zu dürfen.

Mut für ein weiteres Kind

Stefanie: Wohl wahr! Und noch eine letzte Frage zum Abschluss:

Welchen Ratschlag würdest du anderen Sternenpapas geben, die gerade einen ähnlichen Verlust erlebt haben?

Tobi: Ich möchte niemandem empfehlen, spazieren zu gehen oder sich in die Musik zu flüchten. Das war mein persönlicher Weg.

Was allerdings jedem hilft: Reden! Daher mein Tipp: Redet mit euren Frauen, der Familie, mit allen Leuten, die auf euch zukommen, und meidet Leute, die euch nicht guttun oder euch verletzen.

Stefanie: Ich danke dir sehr, dass du meine Fragen beantwortest und somit allen Lesern einen Einblick in deine Trauerarbeit und gleichzeitig in die Trauer eines Sternenkind-Papas gegeben hast.

Sicherlich werden andere Väter anders trauern, dennoch hoffe ich, dass möglichst viele deinen Ratschlag beherzigen. Denn je offener wir alle mit dem Thema Tod und Trauer umgehen, desto besser können wir gemeinsam trauern und weiterleben.

Wer ein paar Worte an Tobi richten möchte, kann sie gern unten in die Kommentare schreiben. Ich gebe ihm dann Bescheid.

SAG ES WEITER:

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Miriam

    Danke für Deine offene und ehrliche Art. Ich liege hier mit Tränen in den Augen und wünschte mein Mann würde mit mir über seinen Schmerz reden. Aber ich darf auch akzeptieren, dass er anders trauert als ich. Wir mussten unsere Wunder am 07.03.23 in der 11. ten Woche ziehen lassen.

    1. Stefanie Goldbrich

      Liebe Miriam,

      vielen Dank für deine Offenheit und mein Beileid zu eurem Verlust.
      Es ist noch so frisch, da muss man erst herausfinden, wie man mit seinen Gefühlen umgeht.
      Auch dein Mann. Es stimmt, Männer trauern anders als wir Frauen, und wir müssen das akzeptieren.

      Hast du deinem Mann denn schon mal konkrete Fragen gestellt, die er mit einzelnen/wenigen Worten beantworten könnte.
      Männer holen einfach nicht so gern aus. 😉

      Ich wünsche dir viel Kraft und sende dir eine herzliche Umarmung.

      Gruß
      Stefanie

Schreibe einen Kommentar