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Wie Schreiben meine Seele heilte

Ein Schicksalsbuch zu lesen, ist emotional, eines zu schreiben noch emotionaler. Und wenn es dann noch die eigene Geschichte ist, ist es fast grausam. Und trotzdem: Schreiben heilt die Seele.

Sich sein eigenes Schicksal schriftlich vor Augen zu führen und die Bilder im Kopf lebendig zu halten, das verändert einen Menschen. Mich rettete dieser Prozess.

Wie und warum mir das Schreiben in der schlimmsten Phase meines Lebens geholfen hat, davon möchte ich dir heute erzählen.

Als meine Seele zu weinen begann

Vor dem Tod meines Sohnes wusste ich gar nicht, was ein Sternenkind ist. Warum auch? Ich war eine glückliche Schwangere, die in der 40. Schwangerschaftswoche nur darauf wartete, dass die Wehen losgingen.

Selbst als es soweit war und ich aufgrund von Komplikationen in den OP gebracht wurde, war ich voller Zuversicht. Ich sah mich bereits, mit meinem Sohn nach Hause fahren. Doch alles kam anders!

Wir überlebten die OP. Beide! Aber nur mein Körper erholte sich. Mein Sohn starb wenige Tage nach seiner Geburt. Schon bevor sein Herz aufhörte zu schlagen, begann meine Seele zu weinen.

„Wir können ihren Sohn nicht mehr retten“, sagte die Ärztin. Ich schrie, weinte, wimmerte und schluchzte. Meinen Sohn in den Tod zu begleiten, war alles, was ich noch für ihn tun konnte.

Als die Nulllinie erschien, hatte er es geschafft. Er musste keine Qualen mehr erleiden. Für mich fing in diesem Moment hingegen der schlimmste Teil erst an: Ein Leben ohne mein geliebtes Kind.

In Erinnerung an mein Sternenkind

Ein Trauma ohne große Vorwarnung

Ich verstand die Welt nicht mehr. Mein Urvertrauen war weg. Ist das wirklich passiert? Nur wenige Stunden zuvor sah doch alles gut aus. So viele Fortschritte! Und plötzlich alles futsch? Das kann nicht sein!

Ich war erstarrt. Mein Kopf war leer. Ich stand komplett neben mir. Mein Mann übernahm die Führung und manövrierte mich aus dem Gebäude. Ohne ihn hätte ich mich nie von meinem verstorbenen Sohn getrennt. Ich war zu nicht viel fähig.

Dieser Zustand hielt einige Wochen an. Ich war zwar ansprechbar und kümmerte mich um meine Tochter, aber viel mehr ging nicht. Ich funktionierte irgendwie und war gleichzeitig eine Gefangene in meiner Gedanken- und Gefühlswelt. Die tägliche Ohnmacht, Verzweiflung, Wut und Fassungslosigkeit kosteten mich alle Kraft, die ich hatte. Ich konnte nicht schlafen und nicht essen. Ich hatte Schmerzen, war aber nicht krank. Das Leben war plötzlich schwer und leer.

Vom Trauma zur Trauer

Nach einer Weile löste sich das Trauma. Ich habe begriffen, dass mein Sohn tot war und nie mehr wiederkommen würde. Das Trauma machte Platz für die Trauer. Mir war nicht bewusst, dass Trauern so anstrengend ist. Ich war immerzu müde.

Müde von meinen eigenen Gedanken, müde von den ständigen Gefühlsachterbahnen, müde vom Leben am Rand der Gesellschaft. Kaum jemand sprach mit mir. Nicht über meine Situation und schon gar nicht über meinen Sohn. Ich musste mir selbst helfen! Doch wie sollte ich das anstellen?

Ich probierte einiges aus Trauerratgebern aus: Yoga, Trauertherapie (ich suchte sogar 2 Therapeuten auf), Spaziergänge im Wald, Musik hören und vieles mehr. Aber so richtig hilfreich war nichts. Egal, was ich tat, ich fühlte mich einsam und allein.

Durch die wochenlangen Gedankenkarussells hatte ich so viele Fragen, aber keine Antworten. Und die Versuche aus den Ratgeber halfen mir leider nicht, sie zu beantworten. Um etwas zur Ruhe zu kommen, fing ich an zu schreiben.

Schreiben als Trauerbewältigung

Mein Sternenkind-Buch schreiben

Das Schreiben heilte mich Stück für Stück. Es beruhigte mich und gab mir wider Erwarten die Kontrolle zurück. Etwas, was ich dringend vermisst hatte, nachdem ich sie durch den Tod meines Sohnes verlor.

Um sie nicht wieder zu verlieren, entwickelte ich Routinen und nutzte diese Formen des Schreibens:

Trauertagebuch – Klarheit finden und Gedanken sortieren

Ich schrieb immer und überall. Mal online, mal auf Zettel, die gerade in meiner Nähe herumflatterten. Anfangs schrieb ich vor allem, wenn es mir mal gut ging. Das kam zwar nicht so oft vor. Dennoch war es eine Art eigene Schreibtherapie, um für schlechte Tage vorbereitet zu sein. Ging es mir nämlich schlecht, las ich mir die Notizen der guten Tage durch. Manchmal taten mir diese Impulse gut. Manchmal war die Trauer zu groß.

Später ließ ich dann all meine Gedanken und Gefühle in meinem Trauertagebuch heraus, sowohl die guten als auch die schlechten Emotionen. Beim Nachlesen entdeckte ich sogar Muster und konnte Trauertäler klar erkennen. Das war nicht nur aufschlussreich, sondern ließ mich sehr viel über mich und meine Trauer lernen.

Trauerbriefe an meinen Sohn – vom Herzen aufs Papier

An Tagen, an denen ich meinen Sohn besonders vermisste, verfasste ich Briefe für ihn und brachte sie ihm ans Grab. Ich schrieb alles nieder, was ich ihm gern gesagt hätte. So sind alle meine Briefe an ihn direkt gerichtet. Es fühlte sich an, als würde ich mit ihm reden. Auch wenn ich keine Antwort bekam.

Sobald ich die Anrede aufs Papier gebracht hatte, fühlte ich mich ihn nah. Meinen Sohn schrieb ich nur die schöne Dinge. Genauso wie ich ihm im Krankenhaus nur von den guten Nachrichten erzählte. Das Ausblenden der negativen Gedanken in den Trauerbriefe zeigte mir, wie dankbar ich für die Zeit war, die ich mit ihm hatte. Wäre ich zur Geburt in einem anderen Krankenhaus gewesen, wäre er wohl gar nicht erst lebend zur Welt gekommen. So hatte ich immerhin fünf Tage mit ihm. Zum Glück!

Erinnerungsbuch – Die Angst vor dem Vergessen

Ich kaufte mir außerdem ein Erinnerungsbuch. Hierhin waren vorgefertigte Seiten, in die ich alle Daten, Fakten und Details aus der Schwangerschaft, Geburt, sein kurzes Leben, die ersten Tage danach, die Beerdigung und einiges mehr eintragen konnte.

Auch dieses kleine Büchlein war sehr wertvoll für mich. Schließlich war die Zeit des Traumas eine sehr schwere Zeit für mich, in der ich oft das Leben an mir vorüberziehen sah, aber nicht wirklich mitwirkte. Heute habe ich oftmals keine bewussten Erinnerungen mehr daran. Umso wichtiger sind daher meine Notizen.

Je mehr ich schrieb, desto leichter wurde meine Seele. Das Schreiben heilte, erleichterte und befreite meine Seele. Oder schien es nur so? In jedem Fall half es mir dabei, meine vereinnahmende Trauer zu bewältigen. Als es mir mit der Zeit leichter fiel, mit der Trauer umzugehen, schrieb ich tatsächlich immer seltener.

Ein Buch als Andenken an meinen Sohn

Es vergingen die Jahre und meine Schreibarbeiten sammelten sich nach und nach im Schrank an: das Erinnerungsbuch, meine vielen überall auftauchenden Zettel, die ich meist auf dem Laptop tippte, nur um eine Sicherheitskopie zu haben, und auch die Trauerbriefe, die ich vom Grab wieder einsammelte.

Sie waren fast die einzigen Erinnerungsstücke, die ich hatte. Schließlich gab es weder hochwertige Fotos, die ich hätte ausdrucken können, noch Gipsabrücke von seinen Händen oder Füßen, noch nicht mal eine Haarsträhne. Sein Tod kam so plötzlich, dass niemand daran dachte, Erinnerungen zu schaffen. Das machte es an Tagen, an denen ich ihn besonders vermisste, sehr schwer.

Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als einen Teil von ihm bei mir haben zu können. Und entschied ich mich einige Jahre später, alle Schreibarbeiten zusammenzufassen und zu einem Sternenkind-Buch werden zu lassen. Ich wollte es meinem Sohn widmen.

Traumatische Erinnerungen erneut durchleben

Aus meinen Notizen ein Buch entstehen zu lassen, das war harte Arbeit. Schließlich durchlebte ich beim Lesen der Aufzeichnungen alles noch einmal: die Vorfreude, die Ungeduld, die Hoffnung und Panik, das Auf und Ab und letztlich den Nervenzusammenbruch, das Trauma und den anfänglichen Trauerweg.

Alle traumatischen Erinnerungen kamen hoch. Jede Emotion war wieder da. Auch die fiesen Kopfschmerzen von damals. Ängste und Fragen kreisten erneut in meinem Kopf. Das komplette Gedankenchaos war zurück. Es bremste mich oft beim Lesen und Weiterschreiben aus. Und doch hatte es etwas Gutes: Ich fühlte mich meinen Sohn nah!

So heilte das Schreiben meine Seele

Auch wenn es ein langer und kräftezehrender Weg war, das Buch zu schreiben, für mich war es der richtige Weg. Ich spürte bereits während des Schreibprozesses, wie sehr es mich und meinen Sohn vereinte. Auch konnte ich mit Themen wie Schuld und der Was-wäre-wenn-Fragerei abschließen.

Die ständigen gedanklichen Begegnungen mit dem Tod meines Sohnes und das nach Jahren erneute Aufschreiben heilten meine Seele. Ich begriff erst jetzt, dass ich alles getan hatte, was ich für ihn tun konnte. Je mehr ich mein Schicksal reflektierte und analysierte, desto besser konnte ich meinen Frieden damit machen.

Und zwischendurch stellte ich mir immer wieder vor, wie das Buch als Teil meines Sohnes in meinem Bücherregal steht. Ich könnte es jederzeit zur Hand nehmen und mich in unsere gemeinsame Zeit zurückfühlen. Dieser Gedanke motivierte mich und gab mir selbst an schlechten Tagen die Kraft weiterzumachen.

Und irgendwann war es vollbracht!

Sternenkind-Buch im Bücherregal

Mein Buch veröffentlichen?

Ich hatte tatsächlich ein Buch über meine Geschichte als Andenken an meinen Sohn geschrieben. Ich war so stolz, dass ich es einigen, engen Freunden erzählte. Die Reaktionen waren ausnahmslos positiv. Alle waren der Meinung, dass ich das Manuskript veröffentlichen müsste: „Du kannst damit so vielen Sternenkind-Müttern helfen!“

Puh, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich fühlte mich mit diesem Gedanken überhaupt nicht wohl. Da standen so viele persönliche Details drin, die ich ungern teilen wollte. Nicht mit Fremden und schon gar nicht mit Menschen, die mich kennen. Es sollte doch lediglich ein Erinnerungsstück für mich und meine Familie sein.

Je mehr ich mich jedoch mit dieser Idee auseinandersetzte, desto besser gefiel sie mir. Schließlich weiß ich, wie einsam ich mich fühlte, wie hilflos die Menschen in meiner Umgebung reagierten und wie sehr ich mir solch ein Erfahrungsbuch gewünscht hatte. Hätte es eins gegeben, hätte ich mich wahrscheinlich aufgefangen gefühlt und gar nicht angefangen zu schreiben!?

Wenn also mein Buch trauernden Eltern, deren Familienangehörigen, Freunden und Bekannten helfen kann, dann lohnt es sich, die Menschen in mein Innerstes blicken zu lassen. Ich bemerkte, dass mir der Gedanke, anderen zu helfen, guttat. Daher konnte es nicht so falsch sein!

Und so hilft das Schreiben meiner Seele heute noch

Mit dem Feedback von Testlesern, meiner Verlegerin und der Korrektorin überarbeitete ich mein Buch noch einige Male. Ich strich ganze Szenen, schrieb andere um und fügte Passagen hinzu, damit der Leser die Zusammenhänge versteht. Ich durchlebte meinen Schicksalsschlag immer und immer wieder. Dabei weinte ich viel. Und ja, ich weine auch heute noch. Wenn auch viel weniger intensiv.

Mein Buch „Eine Handvoll Sonnenschein“ ist inzwischen fertig, dennoch schreibe ich weiter. Ich verfasse Social Media Beiträge für Facebook und Instagram über meinen Trauerweg, Blogbeiträge wie diesen oder teile meine Geschichte in Workbooks. Das Schreiben zur Selbstheilung war zwischendurch fester Bestandteil meines Lebens. Heute spitze ich die Bleistifte nur noch, wenn mir ein Gedanke in den Kopf kommt, der verwaisten Eltern Hoffnung oder Mut machen könnte.

Falls du gern mein Debütwerk lesen möchtest, schaue gern unter dem Menü-Punkt „Buch“ vorbei. Dort findest du alle Details sowie Informationen zu den Bestellmöglichkeiten.

SAG ES WEITER:

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Liebe Stefanie,
    über Judiths Blog bin ich auf deine Seite gestoßen und als ich dein „Schreiben heilt die Seele“ Artikel sah, habe ich mich direkt festgelesen.
    Auch ich kenne die heilsame Wirkung, sich mit seinen schmerzenden Erinnerungen auseinander zu setzen, sie anzunehmen und dort zurück zu lassen, wo sie hingehören: in der Vergangenheit. Und doch bleiben sie im Hintergrund all unseres weiteren Erlebens und Denkens.
    Dein Beitrag für andere Sternenkindmütter ist so wertvoll! Das Wissen, sie sind nicht allein, hilft hoffentlich ganz vielen.
    Ich habe meine Kinder wieder, doch gab es Zeiten, da waren sie so fern, als lebten sie in einer anderen Dimension.
    Rückblickend war auch mir das Schreiben Reflexion, Besinnung und Erinnerung an das Gute.
    Während meines Alleinseins schrieb auch ich erst ein Buch, inzwischen das Zweite, welches im Herbst erscheinen wird.
    Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg!
    Gruß Gabi

    1. Liebe Gabi,
      vielen Dank für deine Offenheit. Ich weiß, dass es Mut dafür braucht. Allerdings bist du auch gut im Training, wie ich sehe. 🙂
      Schreiben hilft nicht allen Menschen. Doch auch die anderen werden ihr Wirkungsmittel finden. Vielleicht töpfern, musizieren oder das Leiten einer Selbsthilfegruppe. Helfen hilft oftmals am meisten.
      Aber nun spring‘ ich direkt in deinen Blog, um mehr über die Geschichte mit deinen Kindern und dein Buch zu erfahren.
      Viele Grüße
      Stefanie

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