Kinder trauern bunter – und das ist gut so.
Für mich war Trauer immer mit der Farbe schwarz verbunden. Es war ein Thema, über das in meiner Kindheit nicht gesprochen wurde. Das gefürchtete schwarze Loch, an das man nicht einmal gedacht hat.
Als ich 21 Jahre alt war, begegnete ich dem Tod das erste Mal. Mein Vater starb. Und so trat ich dem Tod gegenüber. Er war immer noch schwarz, aber überhaupt nicht so furchterregend wie befürchtet.
Als ich 2016 meinen eigenen Sohn in den Tod begleitete, wandelte sich mein Bild vom Tod komplett. Er wurde bunt. Mein eigenes Sternenkindbuch trägt den Namen „Eine Handvoll Sonnenschein“. Ich entdeckte viele helle Farben, die der Tod mit sich brachte. Nicht zuletzt, weil meine Tochter mir ihre bunte Sicht auf den Tod zeigte. Sie benutzte beim Malen kein Schwarz. Dafür alle anderen Farben.
Kinder trauern eben bunter. Und genau darum geht es im Buch von Stella.
Ich habe es gelesen und möchte dir im folgenden Artikel verraten, wie ich es fand.
Wer ist Stella Reichmann und warum schreibt sie über die Trauer der Kinder?
Stella Reichmann ist glücklich verheiratet, Mutter zweier erwachsener Töchter und eines Sternenkindes.
Sie hat Pädagogik studiert und 30 Jahre lang in der Kinderschulbetreuung und in Kindertagesstätten gearbeitet.
Stella hat ihr eigenes Schicksal verarbeitet und mit den Kindern, die sie betreute, zusammen geweint und gelacht. Sie hat die Kinder in für sie schwierigen Situationen getröstet, ihnen ermutigende Geschichten erzählt und gemeinsam mit ihnen Bilder voller Emotionen gemalt.
Und hier schließt sich der Kreis auch schon: Stellas eigene Betroffenheit und ihre Erfahrung mit Kindern geben ihr ausreichend Expertise, ein Buch über die Trauer der Kinder zu schreiben.
Schließlich hat sie jahrelang hautnah erlebt, wie Kinder trauern. Anders als Erwachsener. Einfach viel bunter.
Die Farben der Trauer
„Farben machen unsere Welt schön! Also: Färbst du deine Welt, machst du sie schöner!“
So beginnt Stella das erste Kapitel und verbindet die einzelnen Farben mit Gefühlen und Dingen, die wir mit ihnen assoziieren. Hier ein kleiner Auszug:
- Rot wie die Liebe
- Orange wie die Lebensfreude (denk einfach an die Holländer und ihre Choreos zur EM 2024 – das war Lebensfreude pur)
- Gelb wie die Sonne
- Grün wie die Hoffnung
- Blau wie der Himmel
- Indigo wie die Zuversicht
- Violett wie die Unruhe
Ich habe direkt einen Bezug zu jeder Farbe. Und das nicht nur, weil ich eine Sternenkind-Mama bin. Du auch?
Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen. Somit wird jeder auch einen Bezug zu diesen Farben haben.
Auch Kinder. Sie erleben die Schicksalsschläge ebenso, selbst wenn sie tabuisiert werden. Ihre Antennen sind viel feiner. Sie spüren viel mehr Nuancen, weil sie noch nicht so verkopft sind. Und so trauern sie wesentlich bunter.
Trauerphasen bei Kindern
Stella erklärt außerdem das Modell der Trauerphasen nach Verena Kast, das ursprünglich für Erwachsene erstellt wurde, und zeigt anschließend, wie auch Kinder diese Phase erleben.
Das sind die für mich wichtigsten 3 Erkenntnisse zur Kindertrauer aus dem Buch:
1. Kinder streiten den Tod anfangs ab
- Wir Erwachsene stehen oftmals nach der Nachricht über den Tod unter Schock, wollen es auch nicht wahrhaben, können allerdings auf Erfahrungswerte zurückgreifen und die Situation einordnen.
- Kinder verstehen, je nach Alter überhaupt nicht, was das bedeutet, streiten den Tod ab, sagen, dass man lügt.
2. Kinder brauchen Offenheit und Ehrlichkeit
- Falls ein Elternteil stirbt, kann das Kind existentielle Ängste entwickeln. Es könnte theoretisch ab jetzt jeder sterben, auch das zweite Elternteil.
- Kinder glauben oft, dass sie Schuld am Tod sind, weil sie es sich mal gewünscht haben. Sei es, dass Oma ihm das Spielzeug nicht gekauft hat oder das Geschwisterkind es ärgerte. Über diese Schuldgefühle sollte man mit Kindern sprechen und ihnen versichern, dass sie keine Schuld tragen.
3. Kinder können in alte Verhaltensweisen zurückfallen
- Wenn ein enger Verwandter oder sogar das Geschwisterkind gestorben ist, können Kinder Sicherheit und Geborgenheit in alten Spielen oder Ritualen, die sie mit den Verstorbenen verbinden, suchen. Da wird schnell das Babybuch herausgekramt oder der Daumen wieder in den Mund gesteckt.
Es gibt natürlich viele weitere Dinge, die man über Kindertrauer wissen sollte. Auch das Alter der Kinder ist dabei wichtig. Zu diesem Thema widmet Stella im Buch „Kinder trauern bunter“ ebenfalls ein Kapitel.
Je kleiner die Kinder sind, desto weniger wissen sie, etwas mit ihren eigenen Gefühlen und Gedanken anzufangen. Sie fühlen noch die komplette Palette und haben keine Schubladen. Ärger, Wut und Lebensfreude wechseln sich daher schnell ab.
Kommunikation und emotionale Begleitung sind so wichtig, um trauernden Kindern Sicherheit und Halt in oft überfordernden Situationen zu geben.
Hoffnungsrituale – so hilft man trauernden Kindern
Nach der Theorie folgt die Praxis. Stella reiht viele Rituale auf, die Kindern bei der Verarbeitung ihrer Trauer helfen können, wie z.B.
- Erinnerungsstein bemalen
- Traueraltar gestalten
- Kuscheltierkleidung aus den Sachen des Verstorbenen nähen
- Erinnerungskiste bauen und füllen
- Flüsterengel basteln
- Seelenbilder malen
- Stimmungsbarometer bauen
- Trauerkerze bemalen
Als trauernde Mutter mit Kind an der Hand hätte ich mir damals solch eine Liste gewünscht. Gleichzeitig hätte ich Anleitungen für die meisten der genannten Rituale gebraucht. Zum einen bin ich nicht die begabteste Bastlerin, zum anderen hätte ich gerade in den ersten Monaten der Trauer nicht die Kraft gehabt, danach zu googlen.
Das später folgende Kapitel „Herzensbilder malen“ stellt solch eine Anleitung dar, und ich bin mir sicher, dass das mit Kindern, die gern malen, sehr hilfreich ist. Doch wie helfe ich weniger malbegeisterten Kindern? Wie baue ich ein Stimmungsbarometer oder eine Erinnerungskiste?
Falls das Buch einmal überarbeitet wird, würde ich mir hier Anleitungen zu 2 oder 3 weiteren Ritualen wünschen. So kann man immer wieder im Buch nachschlagen.
Interviews mit Sterneneltern, Trauerbegleitern, Sternengeschwistern und einer Künstlerin
In zweiten Teil des Buches „Kinder trauern bunter“ findest du Interviews, die unterschiedliche Aspekte der Kindertrauer ansprechen. Folgende Themen haben mich am besten beeindruckt.
Heilsames intuitives Malen
Ulrike Hirsch ist Künstlerin mit Leib und Seele und malt schon seit ihrer Kindheit. Sie hat das „Heilsame Krakeln“, eine spezielle Herangehensweise, die dem Malen von Kleinkindern ähnelt, entwickelt.
Na, hast du dich erkannt? Ich wurde als Kind genau so zurecht gewiesen und habe auch meine Kinder an der Hand dazu angehalten. Schade, dass ich das nicht eher wusste.
Durch intuitives Malen oder eben „wildem Krakeln“, Kritzeln oder Kaputtmalen löst Ulrike diese Blockaden auf, damit sowohl die Energie als auch jegliche Art von Gefühlen frei fließen kann.
Authentischer Umgang mit kindlicher Trauer
Katja Propfe blickt bereits auf ein sehr bewegtes Leben mit vielen Höhen und Tiefen zurück. Diese Erfahrungen gepaart mit ihren Coachingausbildungen machten sie zu dem, was sie heute ist: Authentic Coach. Sie unterstützt Frauen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ohne dabei das Gefühl zu haben, ihre Mitmenschen zu verletzen.
Auch im Umgang mit Kindern sollen wir authentisch bleiben. So antwortete Katja auf die Frage: Was ist beim Umgang der Eltern mit kindlicher Trauer wichtig? wie folgt:
„Es ist meines Erachtens wichtig, mit Kindern offen über das Gefühl der Traurigkeit zu kommunizieren und ihnen spielerisch zu zeigen, dass die Dinge und Menschen kommen und gehen. Wenn sie verstehen, dass wir Dinge aufgeben müssen, um Neues zu erfahren, um zu wachsen, dann verstehen sie, dass Dinge, die im Gestern zurück bleiben, nicht wirklich weg sind, sondern in ihnen selbst weiter leben.“
Klingt im ersten Moment hart, oder!? Allerdings mache ich das mit meinen Regenbogenkindern genau so. Wir erinnern uns liebevoll an die Verstorbenen und sprechen offen aus, was uns mit ihnen wichtig war.
Das Leben geht jeden Tag voran, ob wir wollen oder nicht. Und die Veränderung begleitet uns. Ob das nun der Verlust eines Angehörigen, des Haustiers, der Job oder die beste Freundin, die in ein anderen Land zieht, ist. Der Status quo von heute muss nicht der Status quo von morgen sein.
Gemeinsam bunter trauern
Diana Sterzik hat 15 Jahre lang in einer Kinderarztpraxis gearbeitet. In dieser Zeit ergaben sich diverse Fragen wie „Was brauchen Eltern außer medizinischer Betreuung?“ Und so absolvierte sie mehrere Ausbildungen in den Bereichen Entwicklungsförderung und Trauma-Therapie.
Im Buchinterview wird schnell deutlich, welch ein umfassendes Wissen Diana sich angeeignet hat, und ihre Tipps und Anekdoten sind beeindruckend. Auf die Frage: An wen können sich Eltern wenden?, antwortet Diana unter anderem:
„Trauer-Kindergruppen sind für Kinder eine ganz tolle Stütze. Außerdem bekommen sie ja auch einen Raum für ihre Gefühle, die sie zum Ausdruck bringen können über Gespräche, die Musik, den Tanz oder das Malen. Sie können sich gegenseitig austauschen und Verbundenheit spüren, was für uns als Mensch etwas ganz Essenzielles ist.“
Dass diese Selbsthilfegruppen für Kinder und Jugendliche hilfreich sind, kann ich mir gut vorstellen, schließlich hat es mir als Erwachsener ebenfalls gut getan. Es ist immer entlastend, von anderen Betroffenen zu hören, dass sie ähnliche Gedanken und Gefühle haben. So kommt man sich nicht so allein vor. Und da Kinder kreativer trauern, tut ihnen dieser kreative Raum sicherlich gut.
Fazit & Sternebewertung
Das Buch „Kinder trauern bunter“ (hier erhältlich) ist ein Ratgeber, der vor allem im ersten Teil des Buches sehr viele Fakten bereithält. Da es mich interessierte, empfand ich es nicht als zu viel.
Das Buch lässt sich zwar gut lesen, doch ein paar Praxisbeispiele hätten die Theorie zum einen etwas aufgelockert, zum anderen auch bildlich veranschaulichen können. Gerade bei kindlicher Trauer ist die Bandbreite offensichtlich größer.
Die „kleinen Übungen zur Soforthilfe“ fand ich gut, dennoch fehlten mir, wie schon erwähnt, Anleitungen für Hoffnungsritualen. Das ist allerdings sehr subjektiv, da ich keine Bastlerin bin. Die Rituale sind es auf jeden Fall wichtig, da sie dem Kind langfristig helfen sollen. Nicht nur um die Sicherheit wiederzuerlangen, sondern auch um sich wertvolle Erinnerungen zu schaffen.
Die Interviews im zweiten Teil fand ich persönlich ebenfalls interessant, wenngleich sie nicht alle auf das Thema Kindertrauer bezogen waren.
Alles in allem ist es ein Ratgeber, in dem man in kurzer Zeit viel über die Trauer von Kindern lernt und Tipps erhält, wie man sie beim Trauern begleiten kann. Daher gibt es von mir eine Leseempfehlung für dieses Buch.
Hast du schon (d)einem Kind beim Trauern begleitet? Was hat deinem/dem Kind am meisten geholfen? Schreibe es gern in die Kommentare.
Das Buch wurde mir von Stella Reichmann zur Verfügung gestellt. Ich bedanke mich recht herzlich für die wertvolle Lektüre. Dies hat meine Meinung nicht beeinflusst.